Von einem historischen Ereignis schrieb Jérôme Léchot kürzlich im Bieler Tagblatt, als er in seinem Kommentar den «Kompromiss» im Bieler Budgetstreit bejubelte. Für die, die diesen Mann noch nicht so gut kennen: Das ist der Journalist, der in einem Leitartikel vor der Budgetabstimmung den ruinösen Budgetvorschlag befürwortete, weil er meinte, dass er Biel etwas wärmer mache.
Selbstverständlich frohlockte auch unser Stadtpräsident: «Das ist für Biel ein grosser Schritt nach vorne.»
Die Herren Léchot und Fehr sind mit ihrer Freude nicht alleine: Die Rechte jubiliert, dass sie ein Budget ohne Steuererhöhungen durchbrachte, die Linke, dass sie sich nicht zu grösseren Sparmassnahmen bekennen musste, die Verwaltung, dass sie wieder handeln darf, das Museum Pasquart, dass es weiterhin mit einer Lohnsumme von 800'000 Fr. 1070 voll zahlenden Besucher im Jahr empfangen kann und die Banken, dass sie unsere Schuldenwirtschaft gegen Zinsen, die auch mal tiefer waren, finanzieren dürfen. Einzig der grünliberale Fraktionspräsident Briechle, der in der Runde immer noch eine Maske trug und damit seine Alleinstellung auch optisch markierte, ist unzufrieden. Verklausuliert sagte er: Das ist ein Verschieben der Finanzprobleme, ein Nullentscheid, der es allen recht machen will.
Natürlich kann man eine jahrelange fehlgeleitete Finanzpolitik nicht mit einigen runden Tischen in neue Bahnen lenken. Also behilft man sich mit Absichtserklärungen und häuft weiterhin Schulden an. Eine dieser Vereinbarungen lässt aufhorchen: Es ist die Rückkehr zum 1:1-Prinzip. Diese Formel sagt: Für jeden eingesparten Franken gibt es eine Steuererhöhung von einem Franken. Oder etwas salopper ausgedrückt: Die Bieler bezahlen mehr und bekommen weniger. Das gilt natürlich nur für die Bieler, die Steuern bezahlen, denn 40% der Bieler Bevölkerung zahlen nur 4% des Steueraufkommens, bzw. sie alimentieren die Staatskasse höchstens mit Parkbussen.
Mit dem 1:1-Prinzip kehren wir nach einem siebenjährigen finanziellen Crashkurs wieder in das Jahr 2015 zurück. Bereits damals erkannte der Gemeinderat, dass es mit einem Betriebsdefizit von 30 Millionen Franken nicht weitergehen könne. Er präsentierte dem Stadtrat, der über eine hauchdünne Mitte-Rechts-Mehrheit verfügte, ein Sanierungspaket, das es in sich hatte. Es schlug Sparmassnahmen auch bei den grösseren Kulturinstitutionen vor und forderte im gleichen Umfang Steuererhöhungen. Es war das 1:1-Prinzip. Ich erinnere mich noch sehr gut an seine Worte: «Das sind unsere Sparmassnahmen, hinter diesen steht der Gemeinderat.»
Nun ist es ja eine altbekannte Taktik der Exekutive, unliebsame Vorschläge zu machen, im Vertrauen darauf, dass das Parlament diese dann schon ablehnen werde. Zum grossen Erstaunen aber unterstützte diese Allianz der finanzpolitischen Vernunft, wie sie sich nannte, diese Vorschläge mehrheitlich und war im Gegenzug bereit, die Kröte der Steuererhöhungen zu schlucken.
Die Linke und die Kulturlobby schossen damals aus allen Rohren, organisierten Demonstrationen vor und im Stadtrat, sammelten Unterschriften gegen die Subventionskürzungen und beschimpften die bürgerlichen Stadträte als Sozialabbauer. Schliesslich bekam der Gemeinderat kalte Füsse und zog die TOBS-Sparvorschläge mitten in der Debatte wieder zurück. Mit dabei die Finanzdirektorin Steidle, von der die kürzlich geäusserten markigen Vote anlässlich ihres Rücktritts in bester Erinnerung sind. Trotz dieses eklatanten Wortbruchs hielt die Mehrheit dem Gemeinderat die Stange und verabschiedete ein Budget, das zwar nicht mehr dem ursprünglichen 1:1-Prinzip entsprach, aber immerhin markante Einsparungen und ebenso hohe Steuererhöhungen vorsah. Die Linke bekämpfte daraufhin dieses Budget und gewann.
Es ist ein Märchen, das von vielen Politikern und auch dem Bieler Tagblatt heute kolportiert wird und das geht so: 2015 zogen die Bürgerlichen ein Powerplay auf, 2022 taten es die Linken. Beide scheiterten. Da ist natürlich ein vollkommener Blödsinn, denn die damaligen Sparvorschläge stammten vom linken Gemeinderat und folgten einem 1:1-Prinzip, das heute plötzlich wieder entdeckt wird. Wie im Fussball ist es ein unbeliebtes Ergebnis. Aber es geht hier nicht um einen isolierten Budgetentscheid, sondern um eine nachhaltige Sanierung der völlig aus dem Ruder gelaufenen Bieler Finanzen. Und Sanierungen haben nun einmal die Angewohnheit, dass sie Schmerzen verursachen.
Freitag, 9. August 2024
Das 1:1-Prinzip
Alain Pichard über die Bieler Finanzpolitik und den Kompromiss im Bieler Budget-Streit. Erstmals erschienen im Biel-Bienne vom 31.01.2023.