Im Vorfeld der Abstimmungen zu den Kulturinstitutionen konnte man auf Facebook folgenden Post lesen: «Leider sind die Albaner, Kroaten, Araber usw. fern von jeder Kultur und das ist das Problem. Wir haben schon jetzt die Bevölkerungsstruktur einer Banlieue, und deshalb kommt Biel nicht auf einen grünen Zweig.»
Normalerweise hätte eine derart üble Aussage unsere zahlreichen Faschistenjäger in der Stadt Biel mobilisiert. Eine Empörungslawine hätte sich in den sozialen Medien über alle Nutzer ergossen und der Autor dieser bedenklichen Zeilen hätte sich kaum mehr aus der Wohnung gewagt. Seltsamerweise blieb die sonst so leicht erregbare Kulturszene ruhig, obwohl ich damals den Post einigen Leuten zusandte. Die Ursache für die selbstauferlegte Zurückhaltung hatte ihren Grund. Der Verfasser dieser bemerkenswerten Zeilen passte nicht so richtig in das Beuteschema unserer Wächter über das politisch korrekte Biel, ja er pflegte sogar munter in deren eigenen Reihen mitzuwirken.
Der Satz stammt von Daniel Andres, dem vielseitigen freischaffenden Komponisten, der in Biel auch als Journalist, Kapellmeister und Chorleiter seine Spuren hinterlassen hat.
Am 26. Oktober wird seine Oper «Derborance» uraufgeführt. Er hat den Jahrhundertroman «Derborence» des Schweizer Schriftstellers Charles Ferdinand Ramuz aus dem Jahr 1934 in Musik gefasst. Der Intendant des TOBS, Dieter Kaegi, wird diese Uraufführung professionell in Szene setzen und uns erwartet ohne Zweifel ein Höhepunkt der gehobenen Bieler Kultur. Der grauhaarige Seniorenrat unserer Stadt darf sich freuen. Nach dieser Gratiswerbung für TOBS sei es mir aber erlaubt, noch ein bescheidenes Votum für die oben so als kulturlos gescholtene albanische Gemeinschaft anzubringen.
Es gibt nämlich in Biel einen albanischen Kulturverein. Auf dessen Webseite lesen wir: «SH.K.A. Besa Biel/Bienne ist eine Kulturelle Tanzgruppe, die im Jahr 2001 gegründet worden ist. Die albanische Tanzgruppe Besa zählt rund 65 Mitglieder. Darunter Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus Biel und Umgebung. Jeden Freitag von 19.00 bis 22.00 Uhr treffen sich die Mitglieder zum Tanzkurs in der Aula des Schulhauses "Collège des Platanes".
Egzona Ferati, die Vize-Präsidentin des Kulturvereins und Tochter des künstlerischen Leiters Adem Ibrahimi, erzählt mir stolz, wo ihre Gruppe überall auftritt: An Festen, Hochzeiten und am Nationalfeiertag. Wer schon einmal zu einem dieser albanischen Feste eingeladen wurde, wird die Momente ausgelassener Lebensfreude nicht vergessen. Kennengelernt habe ich diese famose Truppe bereits 2014 anlässlich der Vernissage zur BESA-Ausstellung. Einige Leser mögen sich vielleicht noch erinnern. Die Ausstellung thematisierte die Rettung vieler europäischer Juden während der Zeit des Holocausts durch die Albaner. Die Truppe musizierte, tanzte und verzauberte die Anwesenden auch mit ihren prächtigen Kostümen. Das albanische Saiteninstrument Cifteli begleitet die Tänzerinnen jeweils. Es ist nicht leicht zu bespielen. Mein Ex-Schüler Argjend Heta beherrscht die Kunst dieses Spiels meisterhaft. Nach einer soliden Lehre als Kleiderverkäufer beim PKZ, startete er eine Sängerkarriere und ist in der albanischen Pop-Szene eine Nummer. Mittlerweile organisiert die albanische Diaspora riesige Musikfestivals in der Schweiz. Die besagte Vernissage wurde damals übrigens von Pajtime Dodai, ebenfalls eine ehemalige Schülerin, moderiert. Die junge Albanerin spielte auch in der Theaterzone zusammen mit mehreren anderen albanischen Laienschauspielern im Stück «Das verrückte Blut» mit. Dieses Theaterstück füllte 2015 das AJZ mehrfach bis auf den letzten Platz. Doch kommen wir zurück zu unserem Besa-Kulturverein. Egzona Ferati erklärt mir: «Es ist uns ein grosses Anliegen, die albanische Sprache und Kultur zu pflegen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen.»
Die Mitglieder dieses Vereins bezahlen alle ihre Steuern und subventionieren so indirekt das TOBS und damit auch die Produktion und Aufführung von Herrn Andres. Sie tragen also zu den 4 Millionen Franken bei, die der Steuerzahler von Biel für sein Theater und Orchester jährlich aufwendet. Selbstredend wird die grosse Integrationsleistung des albanischen Kulturvereins nicht gefördert. Selbst die Übungs- und Aufführungslokale müssen unsere albanischen Mitbürger berappen. Wer meine Kolumnen liest, weiss, dass ich es nicht so mit Empörungsritualen habe. Aber der Tweet von Daniel Andres, so bedenklich er auch sein mag, bietet natürlich eine vortreffliche Pointe bezogen auf die Kulturpolitik der Stadt Biel.
Ich kann Herrn Andres nur raten, am Freitagabend mal in die Platanes zu gehen, um sich zu überzeugen, wie die albanische Kultur lebt.