Dienstag, 7. Mai 2024

Leuchtturm veralteten Denkens

Gastkolummne im Biel/Bienne. Alain Pichard über den geplanten Neubau Schulhaus Champagne in Biel. Dieser soll 58 Millionen Franken kosten, dies trotz enormer Schulden. Überteuertes Planen hat in Biel offenbar System.

Der steigenden Schülerzahlen, parallel zu dem maroden und zu knappen Schulraumangebot, begleitet Biel seit vielen Jahren. 2016 wurde daher das Projekt Neubau Champagne in Angriff genommen. In Gemeinden, die verantwortungsvoll mit den Ressourcen umgehen, läuft das folgendermassen ab: Man definiert die Parameter, also Schülerzahlentwicklung, Raumbedarf, vorhandene Bausubstanz, pädagogische und ökologische Anforderungen, finanzielle Rahmenbedingungen. In Biel geht man anders vor. Es gilt die Perspektive des Nutzers und diejenige der Verwaltung: Was wollt ihr, was darf es noch sein, was fehlt zu einem Leuchtturmprojekt? Die Folgen sieht man in der Finanzplanung: Projektiert waren 2020 ursprünglich 39,5 Millionen Franken. Als das Projekt die 40 Millionen-Grenze überschritt, monierte die damalige Präsidentin der Geschäftsprüfungskommission und heutige Gemeinderätin Natasha Pittet (PSR) im August 2020, dass die Kosten nicht weiter steigen dürften. Das Gegenteil passierte: In der Finanzplanung 2022 wurden bereits 51 Millionen und 2024 54 Millionen veranschlagt. Und jetzt liegt ein Projekt vor, dass den Bieler Steuerzahler 58 Millionen kosten soll. Notabene alles schuldenfinanziert. Unverfroren behauptete Stadtrat Alfred Steinmann (SP) dennoch, es seien Einsparungen realisiert worden. Mit anderen Worten: Wir hätten eigentlich auch 100 Millionen ausgeben können, lassen es aber bei 58 beruhen, weil wir ja namhafte Einsparungen vorgenommen haben. Das wirft die Frage auf, wie es in Biel immer wieder möglich ist, dass die Kosten bei Bauprojekten völlig aus dem Ruder laufen. So kostet beispielsweise eine Bushaltestelle in Biel über 100 000 Franken während Burgdorf dafür 17 000 Franken ausgibt.

 

Gemeinderätin Glenda Gonzalez Bassi (PSR) spottete während der Stadtratsdebatte, dass man gerne Vorschläge von Firmen entgegennähme, die dieses Schulhaus billiger bauen würden. Damit offenbarte sie unfreiwillig auch das ganze Elend der Projektierungen in der Stadt Biel. Man kennt keine Benchmarks und orientiert sich nicht an Vorbildern. Mit rund 30 Franken könnte man sich beispielsweise ein SBB-Ticket (Halbtax) nach Winterthur kaufen und das mehrfach ausgezeichnete Schulgebäude Wallrüti besichtigen. Dort gab man für 28 Klassenzimmer inklusive Gruppenräume, Schulküchen, Fachräume, Möblierung, Umgebung und Baunebenkosten gerade mal 28,4 Millionen aus.

 

«Winterthur würde die Champagne für 20 Millionen weniger bauen»

 

Der Benchmark für Schulhausbauten liegt generell bei 0,9 bis 1,3 Millionen pro Klassenzimmer. In diesem Preis enthalten sind sämtliche Gruppen-, Fachräume, Lehrerzimmer und Büros. Die Champagne wird für 22 Klassen Platz haben. Die Doppelturnhalle könnte man für rund 10 Millionen bauen. Keine Frage, hätte man die Winterthurer das Gebäude planen lassen, wäre es mit Turnhalle auf 35 bis 40 Millionen gekommen, etwa soviel wie ursprünglich vorgesehen.

 

Nun könnte man als Ehrenrettung anfügen, dass es sich bei dem Neubau wenigstens um ein architektonisches und pädagogisches Leuchtturmprojekt handelt. Wer sich das Projekt aber näher anschaut, stellt erstaunt fest, dass der Entwurf unglaublich anmutende und voraussehbare Fehlplanungen enthält. Zunächst die Schnapsidee, die Kindergärten in den 1. Stock zu verlegen und den im Erdgeschoss vorhandenen Aussenraum auf zwei überdimensionierte Balkone mit Geländer, Sicherheitsnetz und Bedachung zu verfrachten. Weiter fallen die sehr grossen und meist schlecht belichteten Korridore und der überdimensionierte Lehrerbereich mit 700 Quadratmetern auf. Eine der Entwurfsidee und dem Minergie-P Eco Label geschuldete aufwändige Haustechnik verschlingt zudem viel Grauenergie, erfordert einen enormen Raumbedarf und kostet nur fürs Heizen (notabene mit Fernwärme) und Lüften 4,6 Millionen – ganz abgesehen von den hohen Betriebs- und Unterhaltskosten im Nachgang. Der Platz dieser Kolumne reicht bei weitem nicht aus, alle Unzulänglichkeiten dieses absurd teuren Projekts aufzuzählen.

 

Es kann doch nicht sein, dass der Schreiber dieser Kolumne ohne Spezialexpertise diese wesentlichen Defizite erkennen kann, während die zuständigen Behörden projektrelevante Dokumente unterschreiben, ohne sie kritisch geprüft zu haben. Das Niveau des Sachverstandes im Stadtrat verkörperte der grüne Stadtrat Christoph Schiess, der sich im TeleBielingue wortwörtlich rechtfertigte: «Wer dieses Schulhaus als Luxus bezeichnet, bezeichnet die Zukunft der Kinder als Luxus.» Herr Schiess kennt offensichtlich das Gesetz der knappen Ressourcen nicht. Was in diesem Projekt ausgegeben wird, fehlt uns bitter in anderen Gebieten, zum Beispiel im Unterricht oder der Kultur. So gab Gemeindeverband der Bildung Gottstatt für den Neubau einer Turnhalle in Orpund mit Sanierung und Umbau der Aula 5,4 Millionen aus, Biel für einen ähnlich grossen Turnhallenbau im Plänkequartier 13,4 Millionen. Dafür bezahlt Orpund doppelt so hohe Beiträge an Schullager, entschädigt das Hilfspersonal mit 450 Franken pro Woche und verfügt über eine wesentlich bessere digitale Ausstattung der Schüler. Mit anderen Worten, Orpund investiert in die Menschen und den Unterricht und nicht in luxuriöse Bauten. Das Projekt Champagne ist ein Leuchtturm eines veralteten Denkens: Komplizierte Architektur und teure Technik sind weder zukunftsweisend noch nachhaltig!